Sehnsucht Süden - Zu Fuß über die Alpen
Vom Schwarzwald ins Tessin
Auch die weiteste Reise beginnt mit dem ersten kleinen Schritt...
Als ich meinen Rucksack schulterte, die Türen hinter mir abschloss und mich auf meinen Weg machte, war ich aufgeregt und von der eigenen Unternehmungslust und Courage überrascht.
Der Mut und die Kraft, die so ein Aufbruch ins Unbekannte braucht, steckten mich zudem an, das Abenteuer wirklich in Angriff zu nehmen… Kühn fühlte sich mein Plan an, vielleicht sogar gewürzt mit einer kleinen Brise Naivität. Und doch – jede Reise, jedes große Vorhaben beginnt nun mal mit einem ersten Schritt… einem gewagten Schritt – was passiert und ob es klappt, weiß man einfach nicht und es ist auch gut so, dass man nicht alles im Voraus planen kann. Das ist ja das Abenteuer, nach welchem ich suche. [...]
[Aus dem Reisetagebuch, vom 18.Juli 2010]
Der Weg
Im Juli 2010, im Jahr nach meiner Fußwanderung durch Deutschland, machte ich mich erneut auf den Weg, um nun vom
Schwarzwald aus weiter auf dem Europäischen Fernwanderweg E 1 über die Alpen ins Tessin zu wandern. Das Endziel lautete: Montagnola - ein tessiner Bergdorf über dem Luganer See, in welchem der
Dichter Hermann Hesse die längste Zeit seines Lebens verbrachte und dessen Werke mich damals wie heute tiefgreifend bewegten.
Über die heimatlichen, aber gerade zu Tourbeginn extrem schweißtreibenden Schwarzwaldberge und die urzeitlichen Hegau-Vulkane erreichte ich bald das Schwäbische Meer: den Bodensee - und damit auch
die Grenze zur Schweiz. Hinter dem nassen Blau thronten schon die beeindruckenden, majestätischen Bergriesen der Alpen. Eine natürliche, uralte Grenze zwischen Norden und Süden, die schon immer eine
magische Anziehungskraft auf Menschen ausgeübt und tiefe Sehnsucht nach einer anderen, wärmeren, bunteren Welt geweckt hat. Nicht zuletzt deshalb hat auch Hesse in seiner Lebenskrise 1919 auf der
südliche, „richtige Seite der Berge“ Zuflucht gesucht und diese zu seiner neue Heimat gemacht.
"Wandersehnsucht ist die Sehnsucht nach Heimat." (H. Hesse)
Mit meinem 17-kg schweren Rucksack (wie bei meiner Deutschlanddurchquerung wieder mit Zelt und kleiner Wandergitarre im Gepäck) durchwanderte ich von nun an die gesamte Schweiz, nahm Berg um Berg auf mich und erreichte schließlich über alte Säumerpfade den gefürchteten, von Geschichte umhauchten, über 2100 Meter hohen Gotthardpass.
Kaum hatte ich die beeindruckende Bergwelt und die Touristenströme hinter mir gelassen, tauchte ich ein in eine scheinbar verwandelte Welt: Statt mit „Grüizi“ wurde ich nun mit „Ciao!“ gegrüßt, warme, heitere Farben schmückten die Hauswände, verwinkelte Gässchen führten mich durch urige Bergdörfchen mit Steindächern und ein südländischer Flair lag mit einem Mal in der Luft. Fern ab vom keuchenden Ferien- und Transitverkehr führte mich so mein Weg hoch oben am Berghang über die verwunschene Strada Alta, dann wieder hinunter ins Flusstal, entlang des kraftvoll rauschenden Ticinos, schließlich über die Tessiner Berge in das pulsierende Lugano und über dessen charakterischtischen, schon von weither grüßenden Hausberg San Salvatore, der in Hesse's Tessin-Roman "Klingsors letzter Sommer" treffenderweise als "Monte Salute" bezeichnet wird.
Nach knapp einem Monat, über 500 Kilometern und nach vielen schweißtreibenden Bergipfeln kam ich am 10. August an: ein Stückchen näher bei mir und am Ziel: Montagnola.